Geschichte und Archäologie des Kleinen Kreuzers Dresden

 

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Gefecht und Untergang
"Dresden" am Ende des Gefechts    
Einschussloecher


Der Kleine Kreuzer zeigt am Ende des Gefechts an Topp, am achteren Mastfuss und aus der achteren Kasematte heraus weisses Tuch. Über dem Heck schwebt eine leichte Rauchfahne. Die Aufnahme ist vom britischen Kreuzer "Glasgow" aus gemacht
worden, dessen Kommandant die Trefferwirkung aus nächster Nähe sehen will. Im Hintergrund links der Yunque, wie häufig in Wolken gehüllt. Die Berghänge tragen weitaus weniger Vegetation als heute.


Trotz mehr als zweistündiger Beschießung ist der Kreuzer weitgehend intakt.Statt grossflächiger Trefferschäden sind nur Durchschüsse zu erkennen. Die britischen Kreuzer hatten demnach ausschliesslich panzerbrechende Munition an Bord: Der ungepanzerte deutsche Kleine Kleuzer bot den Zündern dieser Geschosse nicht ausreichend Widerstand, und auch das weiche Vulkangestein der Insel brachte die Granaten nicht zur Explosion (s.u.).
Willi Kramer und James Delgado vor Einschuessen des britischen WWI-Kreuzers HMS Kent  

Gemeinsam mit dem kanadischen Marinearchaeologen James Delgado vor den Einschusslöchern der britischen Granaten bei der Punta San Carlos

Die 15 cm-Granaten stecken noch im Vulkangestein und sind scharf!
 
Vom Strand aus fotografiert: Die untergehende Dresden

Das Dresden-Wrack befindet sich auf der Tangente, welche die beiden Einschussgebiete verbindet. Es ist offensichtlich auf eine Mittschiffsposition gefeuert worden. Das untergehende Schiff hat sich während des Absinkens bei fixiertem Bug (Anker) auf eine N-S-Position gedreht.

Nur selten ist ein Schiffsuntergang so dokumentiert worden! SMS Dresden sinkt über Bug mit leichter Neigung nach Steuerbord. Aus dem allein befeuerten achteren Schornstein steigt noch Rauch auf. Die Flagge weht auf dem Vormast.

 

Letztes Gefecht und Untergang durch Selbstversenkung

Der 130 Meter lange Kleine Kreuzer Dresden war am 9. März 1915 an seinem letzten Ankerplatz, der chilenischen Insel Mas a Tierra, die heute Robinson Crusoe-Insel heißt, angekommen. Der 26 Knoten schnelle Turbinenkreuzer, für Langstreckenoperationen völlig ungeeignet, befand sich hier 18.000 Kilometer von seiner Heimatbasis entfernt. Nach 15 Monaten im Einsatz, davon acht Monate unter Kriegsbedingungen, waren seine Hochleistungsmaschinen defekt und kaum noch zu betreiben. In den Kohlebunkern lagerten noch 80 Tonnen Kohle, die allenfalls für weitere zehn Stunden Fahrt gereicht hätten. Mit diesem geringen Vorrat würde es vor Anker gerade möglich sein, über 10 Tage hinweg Strohmversorgung und Kochbetrieb aufrecht zu halten.

Der Liegeplatz in der Cumberland Bucht war sehr gut gewählt. Er lag nur 500 Meter vom Strand des kleinen Dorfes San Juan Bautista entfernt. Dort auf der einzigen Ansiedlung der Insel lebten etwa 20 Fischer mit ihren Familien, die ihren Fang an eine Hummer-Konservenfabrik verkauften. Der Hafenkapitän, Angehöriger der chilenischen Marine und örtlicher Repräsentant der Republik Chile, machte sich keine Illusionen: Dieses abgekämpfte Schiff würde das Territorialgewässer des neutralen Staates Chile nicht mehr verlassen. Zwei Tage nach dem Erscheinen des Kreuzers erklärte er deshalb Schiff und Besatzung als interniert.

Am 14. März 1915, kurz nach Sonnenaufgang (8.00 Uhr), wurden an der östlichen Landspitze der Bucht zwei britische Kriegsschiffe gesichtet: Der leichte Kreuzer „Glasgow“ und der Hilfskreuzer „Orama“. Nur wenige Minuten später trat an der westlichen Landspitze die bedrohliche Silhouette des Panzerkreuzers „Kent“ hervor, der „Dresden“ hinsichtlich Bewaffnung und Panzerung weit überlegen war. Um 8.50 eröffneten die britischen Kreuzer das Feuer über Entfernungen zwischen 8.500 und 3.600 Metern, - ein Scheibenschiessen. Der kaiserliche Kreuzer konnte vor Anker nicht manövrieren und so nur die Hälfte seiner ohnehin weit unterlegenen Geschütze einsetzen. Bereits um 9.00 setzte Dresden die Parlamentärsflagge. Der taktisch kluge und sprachgewandte Oberleutnant Wilhelm Canaris, Adjutant des Kommandanten und Nachrichtenoffizier, fuhr mit der Dampfpinasse des Kreuzers zu „Glasgow“ und protestierte gegen den Angriff in neutralem Gewässer auf ein Seefahrzeug, das sich in chilenischem Gewahrsam befand. Die Antwort von Commander John Luce : Er habe Befehl, „Dresden“ zu versenken; die Neutralitätsfrage müsse später zwischen der englischen und der chilenischen Regierung geregelt werden.

Als Canaris mit seiner Pinasse wieder zurückkehrte, hatte der Kommandant von „Dresden“, Kapitän zur See Heinrich Lüdecke bereits große Teile der Besatzung mit Beibooten an Land geschickt. Feuerwerker waren unterdessen damit beauftragt, an der vorderen Munitionskammer eine Sprengladung anzubringen. Nach dem Gefechtsbericht des Kommandanten hatte sich während oder kurz nach der Parlamentärsmission ein Beiboot des Kreuzers Kent dem Heck genähert . Ein Offizier hatte gefragt, ob man ärztliche Hilfe benötige. Da man Zeit für die Sprengung und das Öffnen der Seeventile gewinnen wollte, mußte Canaris sich nochmals mit langsamer Fahrt zum feindlichen Kreuzer begeben. Über diese Verhandlung , wenn es zu einer solchen gekommen ist, wird nichts berichtet. Um 11.15 jedenfalls „ging SMS Dresden mit wehender Flagge unter Hurrahs auf S.M. den Kaiser in die Tiefe“.

Der Untergang ist auf vier vom Land aus aufgenommenen Photos festgehalten: Dresden wirkt nahezu unversehrt. Alle Schornsteine und beide Masten stehen noch, nur am Heck zeigt sich eine leichte Rauchentwicklung. Dieses Bild entspricht nicht dem, das man nach anhaltender Beschießung durch immerhin drei Gegnerschiffe erwarten dürfte. Der geringen Beschädigung des Kreuzers entsprachen auch die Schäden und Verluste an Leib und Leben der Besatzung: Dem Beschuss waren acht Besatzungsmitglieder zum Opfer gefallen; 15 waren schwer und 14 leicht verwundet worden. Angesichts der Dauer der Beschiessung würde man höhere Verluste erwarten. Geringe Verlustzahlen und der auffallend intakte Zustand des durch Selbstversenkung untergehenden Schiffes geben Rätsel auf, denen bisher noch nie nachgegangen worden war.

James Delgado und ich fanden die Lösung des Rätsels, als wir die -an sich bekannten- Granateinschüsse in Felsen der Cumberland Bay besuchten. Es sind nur zwei Stellen der Bucht, an denen jeweils mehrere Einschussspuren von Artilleriegranaten vorhanden sind. Die Geschosse sind in das weiche vukanische Gestein eingedrungen, wobei schmale Einschusskanäle von bis zu einem Meter Länge entstanden sind. Erstaunlicherweise sind auch die Granaten noch vorhanden und gut sichtbar; es handelt sich um 5 inch-Granaten (15,2 cm), die von allen drei beteiligten britischen Kreuzern verschossen werden konnten. Diese Geschosspuren waren noch nie ausgewertet worden. Mithilfe der nautischen Einrichtungen des chilenischen Marineschiffes konnten James und ich die Schusskanäle vermessen und so die Geschossbahnen bestimmen. Es zeigte sich, daß die beiden Einschussgebiete sich in der halbkreisförmigen Bucht genau gegenüberliegen, wobei sich das Wrack des Kreuzers auf einer gedachten Linie dazwischen befindet. Das war eine große Überraschung, denn es hatte sich dadurch gezeigt, daß zumindest einer der britischen Kreuzer bis auf eine geringste Entfernung von 200 Meter an das deutsche Kriegsschiff herangefahren sein muß. Dies erwähnt der Bericht Kapitän Lüdecke´s nicht, und auch die britischen Quellen lassen dieses Detail aus.

Da die Geschoßkanäle in der Regel paarig mit einem Abstand von 3 Metern auftreten, handelte es sich offenbar um den Panzerkreuzer Kent, denn nur er besaß Doppeltürme. Kent als stärkstes britisches Kampfschiff vor Ort muß also zu einem späteren Zeitpunkt des ungleichen Gefechtes in die Bucht eingelaufen sein und mit dem Feuern gewartet haben, bis er genau nördlich querab zum deutschen Kreuzer stand. Dann hatte das britische Schiff den deutschen Kreuzer in weitem Bogen umfahren und in derselben Querabposition von Süden her erneut gefeuert. Der Vorgang zeigt, daß „Dresden“ sich zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr gewehrt hatte, denn sonst wäre Kent nicht so nahe herangelaufen und hätte das Feuern auch nicht auf die optimalen Querab-Positionen beschränkt.

Es hat ein Scheibenschießen stattgefunden, das aus dieser Position heraus auf ein stilliegendes Seefahrzeug gewöhnlich verheerende Wirkung zeigt. Diese Wirkung ist aber nicht eingetreten, und hierfür liefern die Geschosskanäle die Erklärung: Artilleriegranaten, die in eine Felswand einschlagen, explodieren normalerweise beim Aufschlagen. Wenn sie das nicht tun, handelt es sich um taube Munition. Der mittlerweile fast 90 Jahre alte Befund erzählt uns somit von einer verheerenden Fehlfunktion der britischen Artilleriemunition. Dazu passt auch, daß das Wrack an mehreren Stellen runde Einschußlöcher hat, was es eigentlich nicht geben dürfte: Granaten, die eine Stahlwand durchschlagen, sorgen mit ihrer Explosion für große gezackte Löcher. Steve Gowern vom Western Australian Museum, Experte für britische Munition, hatte ich den Befund mitgeteilt. Er ist sich sicher, dass ein Zünderproblem vorlag: Die Granaten hatten offenbar keine "Nasenzünder", sondern ausschließlich Rückseitenzünder, die erst detonieren sollten und konnten, wenn das Projektil eine gepanzerte Stahlwand durchschlagen hatte. SMS Dresden war aber ein ungepanzerter, eben "Kleiner" Kreuzer!

Warum hat Kapitän Lüdecke dies seiner Marineleitung nicht berichtet? Er und seine artilleristisch erfahrenen Offiziere hatten nicht nur die britischen Aktionen mitverfolgt, sondern noch einige Tage auf der Insel verbracht und so Zeit genug, die Einschüsse in den Felsen zu besichtigen und zu diskutieren. Die Erklärung ist einfach: Lüdecke hatte den Vorwurf zu fürchten, daß er zu früh den Kampf aufgegeben habe, denn bei diesem Zustand der schweren britischen Artillerie hätte der ankernde und artilleristisch unterlegene Kreuzer durchaus eine Chance gehabt, das Gefecht für sich zu entscheiden. Auch die britischen Quellen schweigen sich über diese Katastrophe aus. Wer mag schon zugeben, daß Einheiten der damals die Weltmeere beherrschenden britischen Flotte mit untauglicher Munition in den Kampf geschickt worden waren, und möglicherweise nicht nur hier.